Wegen ihres Bedürfnisses, sich „wie ein kleines Mädchen” zu kleiden, wurde Paola von ihrer ecuadorianischen Familie verstoßen. Damals war sie erst 8 Jahre alt. Bis sie 15 war, lebte sie auf der Straße, dann begann sie mit der Sexarbeit. Sie lernte einen Mann kennen, der schlug sie mehrere Jahre lang. Sie wurde mit HIV infiziert, als sie beim Verlassen eines Nachtclubs von sechs Männern vergewaltigt wurde. Das war kurz nach ihrer Ankunft in Frankreich. Und trotzdem: Das Gefängnis, wo sie nur drei Tage verbrachte, bleibt „die schlimmste Erfahrung” ihres Lebens.
Sie verbrachte eine kurze Zeit in der Justizvollzugsanstalt im Norden der französischen Stadt Lille, wohin sie 2014 verlegt wurde. „Die anderen Häftlinge waren im Hof, sie riefen: ‚Wir wollen hier keine Frauen!‘ Alle wollten sie mich schlagen”, erinnert sie sich heute.
Paola wurde in einem reinen Männergefängnis inhaftiert, genau wie die allermeisten anderen transgeschlechtlichen und Transfrauen, deren amtliches Geschlecht männlich ist und die sich noch keiner Operation zur Geschlechtsumwandlung unterzogen haben. In Frankreich, wie in vielen anderen Ländern auch, entscheidet das im Ausweis eingetragene Geschlecht, wo jemand inhaftiert wird – offiziell jedenfalls.
„Männer und Frauen werden in getrennten Einrichtungen inhaftiert”, heißt es im Artikel D248 der französischen Strafprozessordnung. Doch was ist mit Transgender und Menschen mit binärer Geschlechtsidentität? Was ist ein Mann, was ist eine Frau in den Augen der französischen Gefängnisverwaltung? Die scheint sich mit der Frage schwerzutun, dabei sind transgeschlechtliche Häftlinge (überwiegend Frauen) die Gruppe, die im Gefängnis „am meisten leidet”, so Adeline Hazan, die das Amt der „Generalkontrolleurin der Freiheitsentziehungsorte” bekleidet.
Aktuelle Nachrichten belegen das. So wurde eine US-amerikanische Transperson namens Kara B. unter „besorgniserregenden” Bedingungen inhaftiert, nachdem man sie in einem aufsehenerregenden Prozess für schuldig befunden hatte, bei einer Demonstration 2016 in Paris ein Polizeiauto in Brand gesteckt zu haben. Paolas Geschichte ist keineswegs ein Einzelfall.
Daiana stammt aus Argentinien. Ihre Haare sind blond gefärbt, große rote Ohrringe umrahmen ihr Gesicht. Sie erzählt, wie sie ein Jahr lang in dem reinen Männergefängnis im südlich von Paris gelegenen Fleury-Mérogis in Haft saß, weil ihr Geschlecht von Amts wegen männlich war. Sie war in einer Zelle im Gebäude D3 untergebracht, wo es spezielle Unterkünfte für Häftlinge gab, die man als „gefährdet” einstufte, darunter auch mehrere Transfrauen. Bei Daianas Ankunft im Dezember 2012 waren dort etwa sechs Häftlinge eingesperrt.
Auch Beatriz hat in D3 eingesessen. Sie kam im September 2013 an und blieb zwei Jahre. „Ich habe einen Antrag eingereicht, um bei den Frauen untergebracht zu werden”, sagt sie. „Aber man hat mir gesagt: ‚Nein. Sie sind ja nicht operiert.‘ Aber ich bin eine Frau!” Beatriz zeigt ihren argentinischen Pass, der sie als Frau ausweist. Warum bringt man sie dann bei den Männern unter, entgegen der Strafprozessordnung?
„Jedes Land ist souverän, was die Rechte seiner Staatsbürger betrifft”, sagt Beatriz’ Anwalt Joachim Cellier. „Es ist ja nicht so, dass ihr in Argentinien amtlich bestätigtes Geschlecht in Frankreich nicht anerkennt wird. Aber das französische Recht besagt: Wenn dein Geschlecht nicht mit deinem Körper übereinstimmt, dann musst du die ganze Prozedur halt bis zum Ende durchziehen. Für die Gefängnisverwaltung zählt allein das biologische Geschlecht eines Menschen. … Das ist dumm und gemein.”
Allerdings gilt diese ungeschriebene Regel nicht für jeden. Ariana, eine ecuadorianische Staatsbürgerin, deren amtliches Geschlecht männlich war, unterzog sich an ihrem Geburtstag im August 1998 einer geschlechtsangleichenden Operation. Im November 2011 wurde sie in der französischen Stadt Nantes in der Bretagne verhaftet und zunächst in ein reines Männergefängnis im rund 160 Kilometer entfernten Lorient gebracht. „Ich blieb eine Woche da und wartete auf eine Antwort aus Fleury-Mérogis, obwohl ich dort gar nicht hinwollte. Man hat mir gesagt: ‚Das ist ein modernes Gefängnis, es ist an deine Bedürfnisse angepasst.‘ Ich dachte, die meinen: ‚an die Bedürfnisse von Frauen angepasst‘.
Aber als ich dort hinkam, bekam ich einen schrecklichen Schock, denn da stand ‚Männergefängnis‘ dran. Alle guckten mich an und lachten mich aus, auch die Wärter. Einer schaute mich an und meinte: ‚Da muss ein Irrtum passiert sein – das hier ist ein Männergefängnis.‘ Ich saß in meiner Einzelzelle und weinte. Ich hielt es nicht mehr aus.” Ariana erzählt mit Tränen in den Augen.
„Ich saß in meiner Einzelzelle und weinte. Ich hielt es nicht mehr aus.”
Am 13. Januar 2012 wurde sie endlich in das Frauengefängnis von Fleury verlegt. Doch ihre Erleichterung währte nur kurz: Drei Monate später musste sie auf Anordnung der Gefängnisverwaltung zurück ins Gebäude D3 – zu den Männern.
„Ich sagte, dass ich eine Beschwerde einreichen werde”, sagt Ariana. „Schließlich brachten sie mich zu einem Gynäkologen, um sich zu vergewissern, dass ich ‚wirklich‘ eine Frau bin. … Das Ganze war ein einziger Zirkus.” Während ihres Aufenthaltes in der Männereinrichtung hatte man Ariana den Zugang zu einem Gynäkologen verweigert. „Dann hieß es: ‚Jetzt wissen wir, dass Sie eine Frau sind. Also werden Sie nach drüben zu den Frauen verlegt, nach Fleury.‘”
Erst als ihre vorläufige Inhaftierung vorbei war, wurde sie endlich ins Frauengefängnis in Nantes verlegt – genau das hatte sie ursprünglich beantragt, um näher an ihrem Wohnort und ihrem damaligen Partner zu sein.
Letztlich lässt sich nur schwer nachvollziehen, welche Regeln für Transgender gelten. Mal reduziert man sie auf ihre Geschlechtsorgane, mal auf ihr amtliches Geschlecht. Also versuchen alle, so gut wie möglich mit der Situation fertigzuwerden, auch wenn sie dafür gelegentlich das Gesetz umgehen müssen.
„Insgesamt finden durchaus Bemühungen statt”, sagt François Bes, der das Studienzentrum der internationalen Gefängnis-Beobachtungsstelle koordiniert. „Aber ständig besteht die Gefahr, dass Dinge wieder in Frage gestellt werden, denn jedes Gefängnis macht sein eigenes Ding. Wenn die Gefängnisleitung wechselt, kann das die Situation komplett umkehren, zum Besseren oder zum Schlechteren.”
Michel Fix war 13 Jahre lang Chefarzt der ambulanten Betreuungs- und Beratungsstelle des Gefängnisses Fleury-Mérogis. Er bestätigt, mehrfach dafür plädiert zu haben, Transfrauen, die sich bereits in der Übergangsphase befinden, offiziell aber noch männlichen Geschlechts sind, bei den Frauen unterzubringen.
„Ich wollte, dass auch Transgender, die noch nicht operiert sind, aber sehr weiblich wirken, in die Fraueneinrichtungen kommen”, sagt er. „Aber die Gefängnisverwaltung lehnte diese Art der Umstrukturierung später ab und verwies dabei auf eine Mitteilung von Christiane Taubira, der damaligen Justizministerin. Darin war festgelegt, dass kein Häftling, der von Amts wegen einen männlichen Namen hat und männlich ist, mit Frauen inhaftiert sein darf, ungeachtet seines Erscheinungsbildes.”
Anne Lécu ist Ärztin im Frauengefängnis von Fleury-Mérogis. Einen Fall hat sie in besonderer Erinnerung: „Bei einem Häftling, der näher an seiner Familie sein wollte, wurde ich manchmal gefragt: ‚Wo sollen wir den unterbringen?‘ Ich antwortete klar und deutlich, dass ich das nicht zu entscheiden habe. In diesen Prozess will ich nicht hineingezogen werden.” Bei zwölf ähnlichen Fällen seit dem Jahr 2000 habe sie „keine negativen Erfahrungen mit Transgender-Personen in Fraueneinrichtungen” gemacht. Jeder, der Hormone nehmen wollte, habe sie bekommen.
In den Männereinrichtungen ist der Befund deutlich durchwachsener. Der Zugang zur Hormonbehandlung ist keineswegs selbstverständlich für Menschen, die ohnehin schon etliche Gesundheitsbeschwerden haben. „Transgender haben ein wesentlich höheres Risiko, sich mit Hepatitis und HIV anzustecken. Viele haben ein schwieriges Leben und sind in einer sehr prekären Lage”, sagt Lécu.
„Wenn sie in Haft kommen, haben sie von einem Tag auf den anderen keinen Zugang mehr zur Hormonbehandlung. Das bereitet ihnen große Schwierigkeiten, und es kann nach ihrer Ankunft schon mal einen Monat dauern, bis sie mit mir sprechen können”, sagt der Endokrinologe Alfred Penfornis, der einmal im Monat das Männergefängnis von Fleury und alle zwei Monate die Fraueneinrichtung besucht. „Hormonbehandlungen führe ich immer durch. Kompliziert wird es aber, wenn sie andere Beschwerden haben, die mit dem Transsexuellen-Dasein zusammenhängen.”
So kommt es, dass Häftlinge monate- oder sogar jahrelang keine Hormonbehandlung erhalten. „Die wollten mir meine Hormone nicht geben – ich habe sie erst zwei Monate vor meiner Entlassung bekommen”, sagt Beatriz. Bei Ariana war es das Gleiche. Sie musste warten, bis sie ins Frauengefängnis verlegt wurde, bevor sie Hormone erhielt. Daiana sagt, man habe ihr wegen ihrer Hepatitis-Erkrankung keine Hormone gegeben. Da sie bereits mit HIV lebte (die Viruslast war seit 2007 nicht nachweisbar), hat die Haft ihre Anfälligkeit nur erhöht: „Im Gefängnis habe ich Krebs bekommen. Ich war ängstlich und depressiv. Hätten sie mich nicht freigelassen, wäre ich jetzt tot, denn die haben überhaupt nichts für mich getan.” Im Dezember 2013 wurde sie schließlich nach Paris in das Krankenhaus Pitié-Salpêtrière verlegt. Dort wurde bei ihr Morbus Hodgkin festgestellt, eine Form von Lymphdrüsenkrebs. Sie musste operiert werden.
Als Chloé im April 2014 freikam, hatte sie 16 Jahre lang in verschiedenen französischen Haftanstalten gesessen. Sie war eine der Ersten, die im Gefängnis eine Hormonbehandlung und Frauenkleidung verlangten. Weil sie in ihrer Gefängniszelle abends heimlich Röcke trug, forderte ein Wärter sie eines Tages auf, sich umzuziehen. Und damit begann ihr langer Kampf.
Chloé trat in einen Hungerstreik, der drei Monate dauerte. Außerdem verletzte sie sich häufig selbst. „Ich verbrannte mir die Arme, ich schnitt mich mit Rasierklingen und ich hackte mir einen Finger ab”, erzählt sie kurz nach ihrer Haftentlassung. Zahlreiche Narben bedecken ihre Arme. 2005 forderte Chloé, einem Endokrinologen vorgestellt zu werden, um eine Hormonbehandlung zu bekommen. Man versprach ihr, sie werde einen Termin erhalten, aber dazu kam es nie. Ein paar Monate später brachte ihr eine Mitgefangene aus dem Hafturlaub heimlich Hormone mit. Sie nahm die Antibabypillen ein paar Tage lang ein, während sie auf die offizielle Behandlung wartete, die ihr der psychologisch-medizinische Dienst der Stadt Caen im Juni 2006 bewilligt hatte.
Doch wenig später wurde ihr Antrag auf eine geschlechtsangleichende Operation abgelehnt. „Als ich sie darum bat, dieses Ding operativ zu entfernen, sagten sie, das dürfen sie nicht, aber ich könnte es mir doch einfach selbst abschneiden”, sagt sie. Chloé nahm sich diese Provokation zu Herzen. Im Februar 2006 brachte man sie in die Notaufnahme, nachdem sie sich den Penis mit einem Türnagel verstümmelt hatte. 2008 und 2009 wurde sie erneut eingeliefert – wegen einer Hodennekrose und einer Infektion. Erst 2013, nach einer neuen Serie unerträglicher Gewalttaten, bewilligte man ihr endlich die Operation, die sie wollte.
Im Dezember 2012 wurde Chloés Antrag bewilligt. Sie bekam die Erlaubnis, „im Gefängnisladen Frauenkleidung und -produkte zu erwerben, um sie ausschließlich innerhalb ihrer Zelle zu tragen und zu nutzen”. Sie kaufte sich ihren ersten BH, Make-up und eine Nähmaschine, um sich eigene Röcke zu fertigen. Ein Wärter verspottete sie, als sie um ein Nachthemd bat. Laut einem anderen Wärter aus Caen, der lieber anonym bleiben will, sind „Make-up und Frauenkleidung in Justizvollzugsanstalten verboten, wobei es aber möglich ist, einen Rock zu tragen, wenn man Freigang hat.”
Tatsächlich darf nach der Strafprozessordnung jedes Gefängnis auch in diesem Punkt seine eigenen Regeln anwenden. Darin heißt es: „In Ausnahmefällen darf ein Häftling mit Erlaubnis der Gefängnisleitung und unter Einhaltung der von ihr festgelegten Bedingungen Gegenstände erwerben, die im Gefängnisladen nicht angeboten werden.” Laut einem ranghohen ehemaligen Justizvollzugsbeamten aus Fleury, der anonym bleiben will, bedeutet dies: „Es ist erlaubt, Frauenkleidung zu tragen.”
Beatriz bestätigt das: „Es war kompliziert, aber ich habe welche gekriegt. Erst haben sie nein gesagt, dann ja.” Daiana – obwohl zur gleichen Zeit in derselben Einrichtung inhaftiert – hatte weniger Glück: „Ich durfte überhaupt keine Frauensachen haben, keine BHs, kein Make-up.” „Mit klareren Regeln ließe sich so mancher Konflikt vermeiden”, sagt der Gefängniswärter aus Caen. Als Ariana in Fleury eintraf, wurde sie von einer Frau durchsucht, bis diese von einem Vorgesetzten angewiesen wurde, damit aufzuhören. „Personen, die in Haft genommen werden, dürfen nur von Personen des gleichen Geschlechts durchsucht werden. Die Durchsuchung muss unter Bedingungen erfolgen, die zwar den Erfolg der Überprüfung gewährleisten, aber die grundsätzliche Würde des Menschen und die Achtung vor ihm wahren”, lautet Artikel R57-7-81 der Strafprozessordnung.
Im Jahr 2010 glaubte Karine Vernière, die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Caen, etwas Gutes zu tun, als sie verfügte, dass Chloés Leibesvisitation von zwei Beamten durchzuführen sei: „Ein Mann für die untere, eine Frau für die obere Hälfte.” „Angesichts ihrer Brüste dachte ich damals, meine Entscheidung sei eine gute Lösung, wobei ich zweifellos etwas zu schnell gehandelt habe”, sagte sie Ende 2014.
(Die Leitung der Gefängnisverwaltung hat eine Interviewanfrage vor Kurzem abgelehnt.) Doch das Justizministerium hatte Vernières Dienstanweisung inzwischen aufgehoben: Eine Person, die aus verwaltungstechnischen Gründen als Mann geführt wird, müsse von einem Mann durchsucht werden.
Zwischen Gefängnismauern verschärfen sich die gesellschaftlichen Vorurteile gegen Transgender. Im Jahr 2010 war in einer Mitteilung eines Beamten, der Mitglied der Gefängniswärter-Gewerkschaft CGT war, die Rede von einem Häftling, „von dem niemand weiß, ob er [Chloé, Anm. d. Red.] männlich oder weiblich ist, der uns – freundlich ausgedrückt – ständig zur Last fällt und der uns im Übrigen als totale Deppen dastehen lässt.”
Beatriz erinnert sich an die transfeindliche Haltung einiger Gefängniswärter: „Wenn Transgender eintrafen, die nicht französisch sprachen, nutzten die Wärter die Situation aus und nannten sie ‚Transen‘.” Auch das weibliche Wachpersonal verspottete sie. Sie sagten: ‚Guck mal, ein Transvestit!‘ Es war das erste Mal, dass mir das passierte. In meinem Land, da wurde ich respektiert.”
Beatriz hatte auch nicht damit gerechnet, Opfer körperlicher und psychischer Attacken anderer Häftlinge zu werden. „Um mich zum Gerichtsgebäude zu fahren, steckten sie mich zusammen mit ein paar Jungs in einen Transporter. Die nannten mich ‚Schwuchtel‘. Sie bespuckten mich”, erzählt sie. „Ich sagte das dem Richter und bekam zur Antwort, das sei ganz normal: ‚Als Prostituierte müssten Sie an solche Dinge doch gewöhnt sein.‘”
„Die nannten mich ‚Schwuchtel‘. Sie bespuckten mich.”
Beatriz sagt, sie sei kurz nach ihrer Ankunft in der Justizvollzugsanstalt von einem Mann angegriffen worden, der im selben Trakt wie sie untergebracht war: „In der Nacht schauten wir eine Telenovela und unterhielten uns von Fenster zu Fenster. Das hat ihm wohl nicht gefallen. Am nächsten Tag hat er mich im Sportraum geschlagen. Er hat mir eine Wasserflasche an den Kopf geschmissen. Die Wärter haben nichts dagegen unternommen.”
In Lille, sagt Paola, habe auch sie Traumatisches erlebt: „Ein Mitgefangener versuchte, mich mit einem Messer anzugreifen. Die nächsten beiden Tage verbrachte ich in einer Einzelzelle. Das war sehr schwer.”
Chloé berichtet, sie sei in der Justizvollzugsanstalt Caen dreimal vergewaltigt worden: in ihrer Zelle, unter der Dusche und an der Selbstbedienungsbar, wo sie an einem Sonntagmorgen Reinigungsdienst hatte. „Ich beschloss, es nicht an die große Glocke zu hängen und keine Beschwerde einzureichen. Ich sagte nur, dass ich Schwierigkeiten bekommen hätte.”
Während es in Frankreich nicht möglich ist, exakte Daten zu diesem Thema zu bekommen, zeigen mehrere US-amerikanische Studien deutlich, wie weit verbreitet sexueller Missbrauch an Trans-Häftlingen ist. In einem Bericht behauptet das Statistikbüro des US-Justizministeriums, zwischen 2011 und 2012 hätten 33,2 Prozent aller in Bundes- und Staatsgefängnissen inhaftierten Transgender-Personen sexuelle Übergriffe durch Mithäftlinge erlebt, hingegen nur 4 Prozent, wenn man die Gesamtheit aller Gefängnisinsassen betrachte.
In Caen ist die Mehrheit der Gefangenen wegen sexueller Vergehen inhaftiert – ein weiterer Grund für die Eskalation der Gewalt, in den USA ebenso wie in Frankreich. Nach Chloés Zeit in der Justizvollzugsanstalt, berichtet der Wärter im Gespräch mit BuzzFeed News, habe die Gefängnisleitung „regelmäßige Besprechungen auf freiwilliger Basis eingeführt, um das Wachpersonal für die Besonderheiten dieser Anstalt zu sensibilisieren”. „Dort wird auch über die Besonderheiten von Trans-Häftlingen geredet.” Er selbst orientiere sich aber – wie fast alle seiner Kollegen – bei der Anrede der Häftlinge am amtlichen Geschlecht: „Das sind männliche Häftlinge”, behauptet er. „Wenn man über einen dieser Häftlinge spricht, darf man nicht ‚sie‘ sagen.”
Solche Richtlinien, die auf mangelnder Sachkompetenz basieren und zu Diskriminierung und Gewalt führen, will Acceptess-T verhindern. Die Organisation setzt sich für die Rechte von Transgender-Personen ein und hat der französischen Verwaltungsschule für den Justizvollzug angeboten, Ausbildungsmodule zu entwickeln, um das Personal über die Besonderheiten der Trans-Identität aufzuklären. „Aber obwohl wir den Brief schon vor über zwei Jahren verschickt haben, ist nie eine Antwort gekommen, nur eine Empfangsbestätigung”, sagt Giovanna Rincon, die Vorsitzende der Organisation. Rincon besucht regelmäßig die Trans-Häftlinge in Fleury-Mérogis, um mit ihnen über ihre Möglichkeiten zu sprechen.
Youssef Badr, der Sprecher des französischen Justizministeriums, sagt im Gespräch mit BuzzFeed News: „In der Justizvollzugsanstalt Caen gibt es für das Gefängnispersonal einen Psychologen, der alle zwei bis drei Monate kommt und über die Frage der Geschlechtsidentitätsstörung spricht. In Anstalten, wo es keine Häftlinge mit einer Geschlechtsidentitätsstörung gibt, ist der Besuch durch einen Psychologen nicht erforderlich. Auf Anfrage ist dies aber möglich; ob es geschieht, liegt im Ermessen der Gefängnisleitung.”
Ein Sprecher der Verwaltungsschule für den Justizvollzug ließ per E-Mail wissen, es seien „in dieser Frage keine Maßnahmen vorgesehen”.
Vermutlich im Bestreben, ihre Sicherheit zu gewährleisten, bringt man viele Transgender-Personen in Einzelhaft oder separaten Trakten unter. „Aber das kommt im Prinzip aufs Gleiche hinaus”, sagt Améline Morineau, die zwei Jahre lang für die „Nationale Studentengruppe für die Ausbildung inhaftierter Menschen” (französisch: Génépi) in Fleury zuständig war. Beatriz bemerkt hierzu: „Wir konnten überhaupt nichts machen – man erlaubte uns nur zwei Spaziergänge am Tag.”
„Wir lebten auf engstem Raum. Wie Hunde”, ergänzt Daiana. Die Génépi-Freiwillige beschreibt es so: „In den getrennten Unterkünften haben sie die Zelle für sich allein – im Gegensatz zu den übrigen Gefangenen. Aber sie können nicht mit den anderen runter in den Sporthof gehen.” Dafür haben sie eine eigene Sporteinrichtung – einen zementierten Raum mit herausgerissener Decke, etwa 3 mal 5 Meter groß. Der Génépi-Freiwilligen zufolge können die Trans-Gefangenen auch nicht die Aktivitäten nutzen, die den anderen Häftlingen zur Verfügung stehen: „Mit denen dürfen sie nicht zusammenkommen.”
Während Arianas Zeit im Frauengefängnis ohne Zwischenfälle verging – sie wurde medizinisch versorgt, hatte Arbeit und ein Freizeitangebot, durfte sich normal bewegen und pflegte gute Beziehungen zu Mitgefangenen –, litt sie sehr, als sie bei den Männern war. Da sie sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hatte, beschränkten sich ihre Kontakte zu anderen Menschen (im Gegensatz zu anderen Transfrauen im Sondertrakt des Gefängnisses) auf die Wärter. „Wenn ich draußen spazieren ging, hatte ich mich von meinen Freundinnen fernzuhalten”, sagt sie und meint die anderen Transfrauen. „‚Wieso?‘ ‚Weil du eine Frau bist.‘ ‚Aber ihr habt mir von Anfang an gesagt, dass ich ein Mann bin, und jetzt sagt ihr, ich bin eine Frau. Macht ihr euch über mich lustig, oder was?‘” Ariana ist aufgebracht, als sie erzählt.
Sie begann, wie andere auch, über das Schlimmste nachzudenken: „Nach Weihnachten wollte ich mich umbringen. Eine Frau öffnete die Tür meiner Zelle und fragte mich, was ich will. Ich sagte, dass ich nicht mehr leben möchte.” Im Oktober 2012 verklagte sie die Gefängnisverwaltung und forderte Schadensersatz wegen ihrer Haftbedingungen.
„Wir bekamen 2.000 Euro”, sagt Talia Coquis, ihre Anwältin. „Das war eine mutige Entscheidung, aber sehr weit sind sie damit nicht gegangen. Es war in erster Linie ein symbolischer Betrag. Ich wage zu hoffen, dass diese Entscheidung ein Präzedenzfall für andere ist.”
Am 14. November 2012 nahm sich Nathalie in ihrer Einzelzelle in Caen das Leben. Zuvor hatte die Gefängnisverwaltung ihr unter anderem die Hormonbehandlung verweigert. Am selben Tag hatte sie von ihrer Anwältin erfahren, dass man ihren Antrag auf eine amtliche Änderung des Vornamens abgelehnt hatte.
Am 1. November 2016 waren in Frankreich 13 Transgender-Personen in Haft, wie Youssef Badr vom Justizministerium sagt. „Sie waren in acht verschiedenen Anstalten inhaftiert, wobei sich die Mehrheit im Gefängnis von Fleury-Mérogis befand”, lässt er per E-Mail wissen. Badr schätzt, dass ihre Zahl – je nach Jahr – zwischen 15 und 30 schwankt. Und François Bès zufolge kontaktieren jedes Jahr zwischen 10 und 15 Trans-Häftlinge die internationale Gefängnis-Beobachtungsstelle.
Am 30. Juni 2010, nachdem Chloé sich mit ihm in Verbindung gesetzt hatte, veröffentlichte Jean-Marie Delarue, damaliger Generalkontrolleur der Freiheitsentziehungsorte, im Amtsblatt der Behörde eine „Mitteilung bezüglich der Unterstützung inhaftierter transsexueller Menschen”. Darin prangerte er zum einen das „Fehlen eines Leitprinzips” an und machte darüber hinaus eine Reihe von Vorschlägen. Unter anderem forderte er die Änderung des berüchtigten Artikels D248 der Strafprozessordnung. Der Brief, den Justizministerin Michèle Alliot-Marie ihm daraufhin schickte, widerspiegelt die Antwort des Sprechers des Justizministeriums:
„In der Theorie und laut Artikel D248 der Strafprozessordnung werden Männer und Frauen in getrennten Einrichtungen inhaftiert”, sagt Youssef Badr im Gespräch mit BuzzFeed News. „Dementsprechend muss sich die Gefängnisverwaltung an die Ausweispapiere halten, die im Verlauf der Inhaftnahme zur Verfügung gestellt werden. Allerdings ist es möglich, dass die im Ausweis genannte Identität nicht dem geschlechtlichen Erscheinungsbild entspricht. Deshalb fällt in der Praxis die Entscheidung, wohin man Transsexuelle schickt, einerseits im Hinblick auf das Wohlergehen der Person – indem man sie in eine Einzelzelle setzt; indem man ihr Teile des Gefängnisses zuweist, die für schutzbedürftige Menschen einladender sind; oder auch, indem man sie in Einzelhaft bringt. Andererseits muss auf die in Gefängnissen geltenden Verwaltungsvorschriften Rücksicht genommen werden.”
Das heißt: Obwohl seitdem sieben Jahre vergangen sind, hat sich der Befund des „Generalkontrolleurs der Freiheitsentziehungsorte” im Großen und Ganzen nicht verändert. „Leider ist das, was wir im Bericht von 2010 geschrieben haben, immer noch aktuell”, sagt Adeline Hazan, die inzwischen das Amt der Generalkontrolleurin übernommen hat.
Werden die jüngsten und nach Ansicht einiger Organisationen unzureichenden Entwicklungen bei der amtlichen Änderung des Geschlechts irgendetwas bewirken? „Wir haben noch nicht genügend Einblicke, was die Anwendung dieses Gesetzes anbelangt”, sagt Giovanna Rincon von Acceptess-T. Außerdem sagt sie: „Wir haben ja schon Schwierigkeiten mit den Prozeduren für Menschen, die in Freiheit sind. Man darf also getrost davon ausgehen, dass es erst recht kompliziert wird, wenn es sich um Häftlinge handelt. Immerhin geht es um ein Gesuch, das man einem Richter vorlegen muss.”
Mit diesem Problem sahen sich zwei ehemalige Abgeordnete der Sozialistischen Partei konfrontiert – Erwann Binet und Pascale Crozon –, als die Anhörungen zu der von ihnen angestrebten Gesetzesänderung stattfanden. Diese sollte es Transgender leichter machen, ihr amtliches Geschlecht zu ändern.
„Ich sprach beim ersten Treffen mit der ‚Arbeitsgruppe Gefängnis‘ über die Situation von transsexuellen Häftlingen. Kurz zuvor war ich nämlich mit der Aussage einer Frau konfrontiert worden, die man zusammen mit Männern inhaftiert hatte, was ich sehr verstörend fand”, so Crozon, die ehemalige Abgeordnete des französischen Départements Rhône. „Danach schrieben wir an Jean-Jacques Urvoas und trafen uns mit ihm, um klarzustellen, dass es hier ein echtes Problem gab. Er sagte, er werde darüber nachdenken, aber das war kurz vor dem Ende der Amtszeit seiner Regierung.”
Laut Binet braucht man keine Gesetze, um den Haftalltag von Transgender-Personen zu verbessern, sondern „nur ein paar simple, klare und überzeugende Anweisungen vom Justizminister”.
„Diese Situation braucht ein wenig Aufmerksamkeit drüben im Justizministerium, aber bisher hat sie keine bekommen”, so Binet. „Genauso, wie sich keiner darum geschert hat, wie jemand sein amtliches Geschlecht ändern kann – was der erste, unverzichtbare Schritt hätte sein müssen. Im Kabinett des Premierministers gab es damals viel Zurückhaltung, man wollte sich in dieser Angelegenheit nicht allzu sehr bewegen.”
Das Justizministerium widerspricht: „Natürlich können wir nicht einfach mal so eine Stellungnahme für ein Dutzend Leute rausschicken”, sagt Youssef Badr.
Muss der Druck aus dem Ausland kommen, da Frankreich weiterhin regelmäßig vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt wird wegen der Haftbedingungen und der Art und Weise, wie Transgender-Personen behandelt werden? Im Januar 2016 präsentierte ein UN-Sonderberichterstatter dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen einen Bericht über „Folter und andere grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlungen bzw. Strafen und die Art und Weise, wie davon insbesondere Frauen und die LGBT-Gemeinschaft betroffen sind”.
In der Zwischenzeit denkt man in anderen Ländern über Entwicklungswege nach, die sich mal mehr, mal weniger als vorteilhaft erwiesen haben. 2010 plante man in Italien, ein Gefängnis in Pozzale in der Toskana zu eröffnen, wo nur Transgender-Personen inhaftiert werden sollten, aber das Projekt verlief im Sand. François Bès von der internationalen Gefängnis-Beobachtungsstelle meint, das sei ohnehin kontraproduktiv gewesen, weil es trotzdem die Diskriminierung fördere: „Wer Ghettos schafft, verhindert die Sozialisation von Menschen”, sagt er.
„In Kolumbien, Argentinien oder Ecuador dagegen existiert ein recht fortschrittlicher Standardrahmen”, sagt Jean-Sébastien Blanc, der die in Genf ansässige „Vereinigung zur Verhinderung von Folter” bei Fragen zur Gefängnishaft berät. „Laut den für Gefängnisse geltenden Regeln und Vorschriften soll über die Unterbringung je nach dem individuell empfundenen Geschlecht entschieden werden, und erst nach Rücksprache mit der betroffenen Person”, sagt er. „Nichtsdestotrotz existiert eine große Lücke zwischen diesem fortschrittlichen rechtlichen Rahmen und der Realität vor Ort.”
Braucht Frankreich erst eine Medienfigur wie Chelsea Manning in den USA, bevor die Mächtigen sich in dieser Angelegenheit nach vorn bewegen? Im Juni 2016 kündigte die französische Regierung einen „Plan zur Bekämpfung von Hass und Diskriminierung gegenüber LGBT-Menschen” an, den man gemeinsam mit der Leitung der Gefängnisverwaltung und dem Justizministerium ausarbeiten werde. „Konkret wollen wir für Achse Nummer 5 der 2. Priorität des Plans mobilisieren, um die Behandlung von LGBT-Menschen zu verbessern, denen die Freiheit entzogen wurde”, so Badr. Der Plan umfasst drei Punkte:
- Die Thematik der LGBT-feindlichen Handlungen wird einmal jährlich auf die Tagesordnung der Gefängnis-Aufsichtskommissionen gesetzt;
- Personen, die wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität gefährdet sind, bekommen unter Berücksichtigung der Ordnung der Haftanstalt im eigenen Interesse und zu ihrem Schutz vorzugsweise eine Einzelzelle, wobei es so weit wie möglich vermieden werden muss, diese Personen in separaten Trakten unterzubringen;
- Die Telefonnummer einer Hotline für Opfer von LGBT-feindlichen Handlungen wird in die Liste jener Nummern aufgenommen, die Häftlinge an Telefonstationen in den Justizvollzugsanstalten anrufen können (die Anrufe sind kostenlos und anonym).
Allerdings lässt sich unmöglich in Erfahrung bringen, wie viel von dem 1,5 Millionen Euro schweren Jahresbudget, das für den Plan vorgesehen ist, in die oben genannte „Achse 5” fließen wird: „Diese Zahlen sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt”, so der Sprecher des Justizministeriums. Das Justizministerium konnte zu diesen unverbindlichen Maßnahmen keine genauen Angaben machen und auch nicht sagen, wann sie umgesetzt werden.
Die vollständige Umsetzung des Plans hätte nur drei Jahre dauern sollen. Doch anderthalb Jahre nach der Ankündigung des Plans ist die Leitung der Gefängnisverwaltung noch immer damit beschäftigt, die Projekte zu prüfen.
Das Thema Gefängnis ist in Frankreich tabu, kaum wird darüber berichtet. Gefängnisse gelten vielen als Quellen der Schande. Deshalb hat BuzzFeed die Woche vom 11. bis zum 17. Dezember 2017 zur „Woche des Gefängnisses” erklärt. Alle unsere Artikel findest du hier.
Dieser Beitrag wurde aus dem Französischen übersetzt.
Dieser Artikel erschien zuerst auf Englisch.
Hinweis zur Sprache: Die Begriffe Transgender und Trans-Person werden synonym verwendet. In direkten Zitaten wird auch der Begriff transsexuell verwendet, wie im französischen Original.
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