Wenn ein intersexuelles Kind auf die Welt kommt, wird noch immer häufig operiert, um es zu einem eindeutigeren Jungen oder Mädchen zu machen. Das zeigt eine neue Studie, welche nun von der Ruhr-Universität Bochum veröffentlicht wurde. Neue medizinische Leitlinien sollten die Operationen begrenzen, doch das ist der Studie zufolge nicht passiert.
Seit Jahren kämpfen Aktivist*innen für ein gesetzliches Verbot von Operationen an intergeschlechtlichen Kindern. Erwachsene Betroffene leiden häufig an schwerwiegenden körperlichen und psychischen Folgen und nennen die Operationen „Genitalverstümmelung“. Anwältinnen halten die Eingriffe teilweise für Körperverletzung oder schwere Körperverletzung. Die Agentur für Europäische Grundrechte kam 2015 zu dem Ergebnis, dass die Menschenrechte von Intersexuellen durch die Operationen missachtet werden.
Mit dem Gesetz für den dritten Geschlechtseintrag „divers“ wird ein gesetzliches Verbot solcher Operationen seit einigen Monaten politisch diskutiert. Die amtierende Justizministerin Katarina Barley äußerte mehrfach, ein solches Verbot einführen zu wollen und verankerte einen entsprechenden Passus im Koalitionsvertrag.
Die Wissenschaftlerin Dr. Ulrike Klöppel und Autorin der Studie, schreibt BuzzFeed News auf Anfrage: „Die Zahlen unterstreichen, dass dringend Rechtssicherheit für intergeschlechtliche Kinder her muss. Dass sich Justizministerin Katarina Barley für ein Verbot normangleichender Eingriffe im Kindesalter einsetzt, ist ermutigend. Es braucht ein durchgreifendes Verbot – keines mit tausend Hintertüren.“
Ärztinnen und Ärzte hingegen argumentieren häufig, die Operationen seien teilweise medizinisch notwendig und ein gesetzliches Verbot nicht zielführend. Auch wenn sich in den vergangenen Jahren die medizinische Praxis verändert hat und schonender operiert wird, vermischen sich auch heute noch gesellschaftliche und medizinische Vorstellung davon, was ein gesundes Geschlecht ist.
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So verstoßen Ärztinnen und Ärzte mit der Behandlung intersexueller Kinder regelmäßig gegen geltende medizinische Leitlinien, zeigte im vergangenen Jahr eine Recherche von BuzzFeed News. Die neuen Zahlen belegen nun, dass auch die 2016 erneuerten medizinischen Leitlinien offenbar nicht eingehalten werden.
Laut diesen Leitlinien soll schonender und weniger operiert werden. Auch 2016 wurden laut Studie jedoch 2079 sogenannte geschlechtszuweisende Eingriffe an Kindern unter zehn Jahren mit einer Intersex-Diagnose durchgeführt. Dies ist mehr als in den Jahren zuvor, bedeutet aber nicht notwendigerweise einen Anstieg der Operationen. Möglich ist etwa, dass die Eingriffe anders abgerechnet werden.
Zu den Genitaloperationen an intersexuellen Kindern gehören etwa plastisch-rekonstruktive Operationen des Hodensacks oder Klitorisreduktionen, bei welchen die Klitoris der Kinder chirurgisch verkleinert wird.
Laut Bundesärztekammer kommen jährlich 150 Kinder mit Genitalien zur Welt, die nicht eindeutig männlich oder weiblich sind. Eine andere, verbreitete Schätzungen geht davon aus, dass 1,7 Prozent der Menschen weltweit intergeschlechtlich sind.
Die neue Studie von Dr. Josch Hoenes, Dr. Eugen Januschke und Dr. Ulrike Klöppel ist eine Folgestudie einer häufig zitierten Untersuchung der Humboldt Universität, welche vor drei Jahren veröffentlich wurde. Seit 2005 ist der Anteil der Operationen an Kindern mit einer Intersex-Diagnose kaum gesunken. Untersuchungen dazu, wie intergeschlechtliche Kinder sich ohne hormonelle oder chirurgische Behandlung entwickeln, gibt es kaum. Für eine größere Zahl seriöser Studien auf diesem Gebiet gibt es zu wenige dieser Kinder.
Bist du oder dein Kind von einer geschlechtszuweisenden Operation betroffen und möchtest du Juliane Löffler Informationen zukommen lassen? Dann erreichst du sie unter juliane.loeffler@buzzfeed.com, über Twitter und Facebook.
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Juliane Löffler ist Redakteurin für LGBT* und Feminismus und lebt in Berlin. Contact this reporter at Juliane.Loeffler@buzzfeed.com
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