Diese starke 80-Jährige beweist, warum Deutschland mehr Feminismus braucht


Uli Deck, dpa

Radikal und positiv: Marlies Krämer

Marlies Krämer wurde vor wenigen Wochen bundesweit bekannt, als sie für das Recht auf eine weibliche Anrede vor den Bundesgerichtshof zog. Es ist bereits ihre dritte Kampagne für Frauenrechte: Sie lebte in den 90ern sechs Jahre lang ohne ein gültiges Ausweisdokument, weil sie ihren Reisepass nur als „Inhaber“ beantragen konnte. Außerdem bewirkte sie, dass Wetterhochs auch weibliche Namen tragen können.

Frau Krämer, Sie werden vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, um bei der Sparkasse als Kundin und nicht länger als Kunde bezeichnet zu werden. „Mit der sprachlichen Ausgrenzung beginnt die patriarchale Ausbeutung von Frauen“, das ist ihr Zitat. Es gibt Menschen, die würden Sie dafür wohl als Radikalfeministin bezeichnen …

Da habe ich nichts dagegen, radikal ist doch sehr positiv. Es heißt, das Übel an der Wurzel zu erkennen und zu bekämpfen. Wenn die Leute es nicht anders begreifen, müssen Feministinnen eben radikal sein. Es gibt Menschen, die sagen, ich bin stur, aber ich bin konsequent und das ist ein himmelweiter Unterschied. Ich bin die saarländische Suffragette, die saarländische Don Quijotta. Das sind Attribute, auf die ich stolz bin. Und ich bin bekennende Feministin. Ich will auch nicht auf Frauenrechtlerin reduziert werden, das ist mir zu zahm.

Der Bundesgerichtshof hat Ihre Klage abgelehnt, genau wie zuvor das Amts- und Landesgericht Saarbrücken. Wie haben Sie das Urteil aufgenommen?

Ich habe schon damit gerechnet. Die Begründung in Saarbrücken lautete: Die Sprache sei schon 2000 Jahre alt und seitdem wird das generische Maskulinum geschlechtsneutral genutzt, was ja absolut nicht stimmt. Unsere Sprache hat sich ständig verändert. Im Grimm’schen Wörterbuch etwa war die feminine Sprache gleichberechtigt mit der maskulinen. Da hieß es noch: Die Gästin, der Gast. Diese fünf Richter am Bundesgerichtshof, jetzt verwende ich mal absichtlich die männliche Form, haben entschieden, wie es ihrem Macht- und Gewaltmonopol entspricht. Das können wir so nicht hinnehmen.

Damit die #Sparkasse sie als Kundin anspricht, will Marlies Krämer vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Vor dem BGH wurde ihre Klage abgewiesen. Eine Spendenkampagne für Anwaltskosten war innerhalb von 3 Tagen erfolgreich. https://t.co/exhNqfl3eS

Wie lange wollen Sie weiterkämpfen?

Ich gehe je nach Entscheidung bis vor den Europäischen Gerichtshof. Ich bin fest davon überzeugt, dass die feminine Sprachform der Schlüssel zur Gleichberechtigung ist. Auch die MeToo-Debatte hängt mit diesem sprachlichen System zusammen. Der Richter des Bundesgerichtshofes sagte in der Urteilsbegründung, wir erlitten keinen Schaden. Aber durch die sprachliche Ausgrenzung erleiden wir permanent eine gesellschaftlich geringere Wertschätzung, als die Männer. Wir werden totgeschwiegen.

„Ich bin die saarländische Don Quijotta.“

Warum ist die Sprache für die Gleichberechtigung so wichtig?

Sokrates hat schon gesagt: Wer in der Sprache nicht vorkommt, ist auch nicht im Bewusstsein. Und Tucholsky sagt: Wer die menschliche Sprache beherrscht, beherrscht auch das Denken der Menschen. Wenn jemand sagt „der Doktor“, kommt niemand auf die Idee, eine Frau dahinter zu vermuten. Automatisch wird von einem Mann ausgegangen. Sprache ist Ausdruck von Denken, Fühlen, Reden, Tun und Handeln. Sie ist unser wichtigstes Integrationsmittel und unser höchstes Kulturgut.

Wo erleben Sie Widerstand?

Vor allen Dingen bei Leuten, die sich noch nie damit befasst haben, die sich auch nicht damit befassen wollen und die aus ihre gedankenlosen Bequemlichkeit nicht rauswollen. Nach dem Motto: Es war ja schon immer so, also warum soll das geändert werden?

In der Debatte über Sprache wird nicht über Frauen, sondern auch über non-binäre Menschen debattiert, etwa Trans-Personen oder intergegeschlechtliche Personen. Was halten Sie etwa von dem Gender-Sternchen?

Wer sagt, das Gendersternchen sei zu kompliziert oder unverständlich, hat sich noch nicht damit befasst. Es gibt so verquere Texte im Bankensystem, die die Leute überhaupt nicht verstehen. Da sagt keine Person irgendwas. Nur hier, wo es um die feminine Sprachform geht, heißt es plötzlich, das sei nicht lesbar. Oder die Umstellung sei zu teuer. Das ist alles an den Haaren herbeigezogen und diese ganzen Parolen kenne ich schon von der Ausweiskampagne.

1990 lebte Marlies Krämer sechs Jahre lang ohne ein gültiges Ausweisdokument, weil sie ihren Reisepass nur als „Inhaber“ und nicht als „Inhaberin“ beantragen konnte. 1996 wurde dies durch eine EU-Regelung verändert.

Etwa zeitgleich initiierte Krämer ihre Wetterkampagne. Wettertiefs, Stürme und Orkane hatten in der Regel Frauennamen, die Wetterhochdruckgebiete Männernamen. Zusammen mit der Journalistin Elke Diehl aus Bonn führte Krämer eine öffentliche Kampagne dagegen, Ende der 90er Jahre änderte sich diese gängige Praxis.


Hector Retamal / AFP / Getty Images

Wie sind Sie zu Ihrer feministischen Haltung gekommen?

Ich war die Älteste von vier Kindern, wir waren sehr arm. Mir sind die Fremdsprachen in den Schoß gefallen und alle Lehrkräfte haben sich dafür eingesetzt, dass ich ein Stipendium bekomme. Aber die Väter waren damals die Patriarchen und haben bestimmt, was mit der Familie geschieht. Mein Vater sagte: Warum sollst du studieren, du wirst ja doch heiraten. Also wirst du Verkäuferin. Damit war mein Leben beschlossen. Ich war eine folgsame, katholische Tochter. Als ich dann geheiratet habe, und mein Mann so früh gestorben ist, stand ich da mit vier kleinen Kindern und hatte kein Geld. Ich habe geputzt, serviert, beim Imbiss verkauft. Dann bekam ich eine Stelle als Küchenhilfe an der Mensa. Ich war tot von der Maloche, die auch noch schlecht bezahlt war, wie alles, was Frauen machen.

Sie sind dann über die Arbeit an der Uni zu seinem Soziologiestudium gekommen.

Ich kann Ihnen sagen, das war das beste, was ich mir als Frau antun konnte. Ich kann es nur jeder Frau empfehlen, da sind mir sämtliche patriarchale Knoten im Kopf geplatzt. Ich habe mir ein ganz anderes, zusammenhängendes Denken angeeignet. Seitdem macht mir einfach alles nur noch Spaß. Ich habe alles anders gesehen und bin auch Umweltaktivistin geworden und vehemente Atomkraftgegnerin.

Marlies Krämer wurde 1937 in Illingen/Saar geboren. Sie heiratete mit 21 Jahren, verwitwete 14 Jahre später und absolvierte dann ein Soziologiestudium an der Uni Saarbrücken. Ab Mitte der 80er Jahre engagierte sie sich in der SPD, trat im Zuge der Agenda 2010 aus begründete in ihrer Heimat Sulzbach einen lokalen Ortsverein der Partei die Linke mit, bei dem sie heute Ehrenvorsitzende ist. Am 11. August 2009 kettete sie sich an eine 350-jährige Eiche, um sie vor dem Fällen zu retten (die Eiche wurde dennoch gefällt). Krämer lebt zusammen mit ihrem 94-jährigen Partner in Sulzbach an der Saar und bezeichnet ihn als ihren „stärksten Befürworter“.

Sie waren einige Jahre alleinerziehende Mutter – wie haben Sie diese Zeit erlebt?

Das war eine Zeit durch die Hölle. Ich hatte kein Geld und musste all diese Jobs annehmen, um mich und meine Kinder über Wasser zu halten. Ich war relativ streng zu meinen Kindern – zu der damaligen Zeit stand eine alleinerziehende Frau noch viel mehr im Fokus als heute. Ich hatte immer Angst, mir könnte jemand das Jugendamt auf Hals hetzen und mir eines der Kinder wegnehmen. So schlimm diese Zeit war: Wenn mir das nicht passiert wäre, wäre ich wohl gar nicht auf die Idee gekommen, aus dem Altgewohnten auszubrechen. Dann wäre ich heute eine von vielen alten Frauen, die keine andere Perspektive haben, als zu Hause zu sitzen.

Auch heute sind Alleinerziehende noch stark benachteiligt, sie leben fünfmal so oft im Hartz IV-Bezug wie Paarfamilien. Alleinerziehende Mutter zu sein bringt nach wie vor ein großes Armutsrisiko mit sich.

Die Lage ist genauso beschissen wie eh und je. Die Frauen sind in den meisten Fällen die Benachteiligten. Als mein Mann starb, sollte unser Haus verkauft werden. Ich ging auf Wohnungssuche – wenn ich sagte, dass sich vier Kinder hatte, konnte ich froh sein, wenn ich nicht rausgeprügelt wurde. Es war ein ständiger Spießrutenlauf, aber da hat sich bis heute nicht viel dran geändert. Frauen sind gezwungen, schlecht bezahlte Jobs anzunehmen, um ihre Kinder durchzubringen, weil sie staatlich nicht ordentlich unterstützt werden. Die Frauen gehen putzen, machen den Herren den Dreck weg, damit die arbeiten gehen können.

„Das Leben als alleinerziehende Frau war ein ständiger Spießrutenlauf, da hat sich bis heute nicht viel dran geändert.“

Sind Gesetze wie das Entgelttransparenzgesetz oder die gesetzliche Frauenquote in den Aufsichtsräten keine Fortschritte?

Das ist mir zu wenig. Und wenn ich mir die neue Bundesregierung anschaue: Da sind die Frauen wieder hinten runter gefallen. Ich habe die Befürchtung, dass sich die Tendenz wieder rückwärts wendet.

Derzeit werden die Abtreibungparagrafen 219a und 218 wieder heftig debattiert – das war auch in der Zeit der Weimarer Republik so. Auf Demonstrationen tragen ältere Frauen Schilder, auf denen steht: I can’t believe I still have to protest this shit. Warum kehren diese Debatten immer wieder?

Im Grunde genommen kommen wir nicht weiter. Der Paragraf 219a gehört weg, genau wie der Paragraf 218. Es geht nicht weiter, weil wir noch immer in einem Patriarchat leben, in dem die Männer da sind, wo Geld und Macht sind. Und sie bestimmen über eine Welt, in der wir alle leben. Wir Frauen sind 52 Prozent der Bevölkerung und kommen in unserer Muttersprache nicht vor, als gäbe es uns gar nicht. Dabei leisten wir die fundamentale Arbeit für Staat und Gesellschaft: die gesamte Schwerstarbeit in der Familie, inklusive Kinderpflege, Krankenpflege, Altenpflege, alles zum Nulltarif.

„Ich habe einen Rollator, das ist mein bestes Möbelstück.“

Feminismus bekommt sehr viel Hass ab, das erleben gerade junge Feministinnen im Internet. Kennen Sie diese Anfeindungen?

Über solche dummen Parolen wie „Feminazi“ will ich gar nichts wissen. Ich habe kein Facebook, ich habe kein Internet, ich habe kein Handy. Ich brauche Sachen, die mich aufbauen und nicht solche, die mich runterziehen.

Und was baut Sie auf?

Ich habe hier zwei Aktenordner, voll mit Dankesschreiben und positiven Rückmeldungen. Eine Professorin hat mir über Fleurop wunderschöne rote Baccara-Rosen geschickt, als Dank und Motivation. Ich bekomme auch viel Post von Männern. Und ich habe bundesweit Einladungen erhalten. Die kann ich wegen meiner körperlichen Verfassung leider nicht mehr annehmen. Früher war ich ein kilometerfressender Besen, bin früh morgens um fünf aus dem Haus gedüst. Jetzt ist alles reduziert, aber ich habe einen Rollator, das ist mein bestes Möbelstück.

Was raten Sie jungen Frauen und Männern?

Aufstehen und dagegen wehren. Das heißt auch, auf die Straße zu gehen. Ich habe streckenweise auch allein demonstriert, ich bin rumgelaufen wie eine Litfaßsäule. Ist mir doch egal, was die anderen darüber denken. Mir hat mal jemand gesagt: „Der Mehrheit musst du dich beugen.“ Da habe ich gesagt: „Pass mal auf, wenn du mich nicht kennst, lernst du mich jetzt kennen.“ Es wird nie passieren, dass ich mich gegen meine Überzeugung einer Mehrheit beuge.


Oliver Dietze, dpa

Juliane Löffler ist Redakteurin für LGBT* und Feminismus und lebt in Berlin. Contact this reporter at Juliane.Loeffler@buzzfeed.com

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Post Author: martin

Martin is an enthusiastic programmer, a webdeveloper and a young entrepreneur. He is intereted into computers for a long time. In the age of 10 he has programmed his first website and since then he has been working on web technologies until now. He is the Founder and Editor-in-Chief of BriefNews.eu and PCHealthBoost.info Online Magazines. His colleagues appreciate him as a passionate workhorse, a fan of new technologies, an eternal optimist and a dreamer, but especially the soul of the team for whom he can do anything in the world.

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